Gabo wird niemals
einsam sein
Gabriel Molina
Als am Donnerstag, dem 9. Juli 2008, eine
Reflexion von Fidel Castro veröffentlicht wurde,
waren Gabriel García Márquez und seine Mercedes
Barcha sehr beeindruckt von der betäubenden
Zuneigung des Comandante.
„Was Fidel geschrieben hat, machte mich sprachlos.
Mir schien, ihn gestern kennengelernt zu haben. Noch
nie hatte ich ihn so gesehen, so liebevoll", sagte
Gabo einigen seiner kubanischen Freunde gegenüber.
„Er war so hingebungsvoll und entspannt. Über
alles wurde geredet, über Birán, das wir mit ihm
besucht hatten", sagte Mercedes. „Ja, über viele
Themen, eingehend und klar", bestätigte ihr Partner,
der über mehr als 50 Jahre untrennbar mit ihr
verbunden war, und fügte hinzu: „Heute kann ich
wirklich nicht aus dem Haus gehen."
Er hatte recht, nach diesen Worten, die über
Presse, Radio und Fernsehen Millionen Kubaner
erreicht hatten, wäre es belastend gewesen, sich
öffentlich zu zeigen. Hätte dies ein anderer gesagt,
könnte es als übertrieben gelten, aber bei ihm nicht.
Er bezog sich darauf, was am Vorabend in einem der
Restaurants des Hotels Meliá Cohíba vor sich
gegangen war.
Nach 15.00 Uhr war das Restaurant fast leer
gewesen. Daher kamen, sobald Gabo, Mercedes,
Conchita Dumois und der Autor dieser Zeilen Platz
genommen hatten, Melia-Vertreter bis zu den
einfachsten Beschäftigten an unseren Tisch, um Gabo
die Hand zu reichen. Da sie immer mutiger wurden,
konnten wir uns bereits nicht mehr über unser
drittes Treffen mit dem Kollegen Angel Augier
unterhalten, der bald 100 Jahre werden würde, von
denen knapp 50 in Einsamkeit verlaufen waren. Die
Bewunderer von García Márquez brachten Bücher,
Zettel und alle Arten von Souvenirs, damit er eine
Widmung schrieb, und baten darum, sich mit ihm
fotografieren zu lassen. Ich gebe zu, dass ich in
dem Moment lieber sein geistreiches Gespräch
genossen hätte. Er sprach gern über jene Zeiten. Ich
glaubte, dass er wegen der Unterbrechung die Geduld
verlieren würde. Aber ich irrte mich, er war immer
so, frei von jedem elitären Gefühl, das die
Berühmtheit in einigen hervorruft. Man könnte sagen,
dass er es genoss, als die einfachen Leute die Scheu
überwanden, mit der sie sich den Berühmtheiten
nähern. […]
Zu vielen Leuten steigt der Erfolg zu Kopf,
insbesondere wenn der Ruhm nicht so herausragend und
verdient ist wie in seinem Fall. Nachdem wir uns
jahrelang nicht gesehen hatten, konnte ich nicht
aufhören, mich zu wundern, dass er nicht nur er
selbst geblieben, sondern noch viel besser geworden
war. Er hatte seine Natürlichkeit erhalten.
Gabriel García Márquez war so berühmt geworden,
dass es ihn manchmal belastete, wie damals, als ein
Unbekannter einen gefälschten Brief schrieb, der im
Internet zirkulierte, als Abschied angesichts seines
ebenfalls erlogenen baldigen Todes. Ich bemerkte
dies eines Tages und er erzählte, wie diese Person
und andere mehrere Mal ähnliche Dinge getan hatten.
Vielleicht ist es bedauerlich, die Privatsphäre
zu verlieren, besonders, wenn man sie am meisten
braucht. Aber Gabo bewies, dass es wichtiger ist, zu
wissen, mit dem Ruhm umzugehen. Im Meliá führte er
die Bezeigung von Zuneigung, Geist und Achtung
weiter, die er bei unseren drei Treffen mit Augier
an den Tag gelegt hatte. Bis wir wieder gingen nahm
er die Schmeicheleien mit einer ruhigen und
erstaunlichen Bereitschaft hin, die die kubanischen
und spanischen Angestellten aufmunterte. Einige
bedauerten, dass sie in jenem Moment keine Bücher
von ihm hatten und er versprach, ihnen einige
zukommen zu lassen.
Am nächsten Tag fragte ich ihn danach, und er
hatte es bereits getan. Das hätte mich nicht wundern
sollen. Wie konnte ich an den Proben seiner
Bescheidenheit zweifeln, die er uns im Verlauf der
Jahre erbracht hat? Gabo war offen wie ein echter
kolumbianischer Küstenbewohner. […]
Auch die Mitarbeiter von Granma Internacional
waren begeistert, als er sich im August 2001 mit
seinem überschäumenden Genie zu einem Besuch bereit
fand, um sie zu begrüßen, bevor wir, da der
Fahrstuhl kaputt war, acht Stockwerke zu Fuß
erklimmen mussten, um Augier in dessen Wohnung in
Habana del Este zu besuchen. Auf dem Weg nach oben
konnte ich erneut seine so natürliche menschliche
Art bewundern. Er sang gern — einmal hatte er das
sogar in einem Pariser Nachtlokal getan, um sich mit
den täglichen Ausgaben zu behelfen — und genoss
unterhaltsame Gespräche, gute Musik und heitere
Getränke. Ihm machten die Boleros Freude und er
wollte sie komponieren, war aber mit seinen
Versuchen nicht zufrieden; ebenso gefielen ihm die
Vallenatos. Er sagte, dass „Hundert Jahre Einsamkeit
ein Vallenato mit 450 Seiten" sei.
Der García Márquez, der Fidel beeindruckte, war
nicht nur ein außergewöhnlicher Schriftsteller und
Journalist, den die Welt bewundert und verehrt,
sondern auch ein außergewöhnlicher Mensch, der dem
mit nicht weniger Liebe entspricht. Persönlich
konnte ich das eines der letzten Male feststellen,
an denen wir zusammen waren, als er mit Conchita
seine Erinnerungen an Prensa Latina für das Buch von
Masetti zusammenstellte. Es waren Tage, an denen das
Leben des Comandante in großer Gefahr war. García
Márquez unterbrach sich alle fünf Minuten, um mir
immer wieder zu sagen: „Wie wird es wohl Fidel
gehen?" Er erinnerte sich nicht einmal daran, dass
auch seine Gesundheit angegriffen war.
Deshalb waren beide so berührt von dem, was Fidel
über ihn und Mercedes schrieb. Es sei mir gestattet,
zu dieser traurigen Stunde einige dieser Gefühle des
Comandante wiederzugeben: „Ich hatte beschlossen
auszuruhen und mich mit Gabo und Mercedes Barcha,
seiner Frau, zu treffen, die bis zum 11. in Kuba zu
Besuch weilen. Wie sehr habe ich den Wunsch gehegt,
anlässlich von 50 Jahren aufrichtiger Freundschaft
einen Austausch zur Erinnerung an diese Zeit zu
führen! (...) Ich hatte nie die Ehre Aracataca, den
kleinen Geburtsort von Gabo, kennen zu lernen, aber
er genoss das Privileg, auf meine Einladung hin
meinen 70. Geburtstag mit mir in Birán zu feiern.
(…) Unsere Freundschaft war das Ergebnis einer über
viele Jahre gepflegten Beziehung, während der es
viele Gespräche gab, die für mich immer unterhaltsam
waren und deren Anzahl mehrere hundert betrug. Mich
mit García Márquez und Mercedes während jedes ihres
Aufenthalts in Kuba zu unterhalten – sie kamen
mehrmals im Jahr –, wurde für mich zu einem Rezept
gegen die starken Spannungen, unter denen unbewusst
aber ständig ein kubanischer Revolutionsführer
lebte."
„In Kolumbien selbst organisierten die Gastgeber
anlässlich des 4. Iberoamerikanischen Gipfels eine
Kutschfahrt durch den von einer Mauer eingefassten
Teil von Cartagena (…) Die Genossen der kubanischen
Sicherheitsorgane hatten mir gesagt, dass es nicht
angebracht sei, an der vorgesehenen Spazierfahrt
teilzunehmen. Ich war der Meinung, dass es sich um
eine übertriebene Besorgnis handelte, da durch die
zu große Kompartimentierung diejenigen, die mich
informierten, über keine konkreten Angaben
verfügten. Ich habe immer ihre Berufskenntnis
geachtet und mit ihnen zusammengearbeitet!
Ich rief Gabo an, der in der Nähe war, und sagte
zu ihm im Scherz: ´Steig zu uns in die Kutsche,
damit nicht auf uns geschossen wird!´ Uns so hat er
es getan. Zu Mercedes, die am Abfahrtsort blieb,
habe ich im selben scherzhaften Ton hinzugefügt: ´Du
wirst die jüngste Witwe sein.´ Das vergisst sie
nicht! (…) Später erfuhr ich, dass dort dasselbe
geschehen ist, wie damals in Santiago de Chile, als
eine Fernsehkamera, die eine Selbstladewaffe
enthielt, bei einer Pressekonferenz auf mich zielte,
und der sie bedienende Söldner sich nicht traute,
abzudrücken. In Cartagena lauerten sie mit
Scharfschützen und Selbstladegewehren in einem
Hinterhalt an einer bestimmten Stelle des mit Mauern
umgebenen Geländes und erneut zitterten diejenigen,
die abdrücken sollten. Der Vorwand war, dass Gabos
Kopf ihnen die Sicht verwehrte ..."
Mit Fidel durch die Welt zu ziehen, beinhaltete
dieses Risiko.
Am Ende seines Artikels schrieb Fidel, dass Gabo
nicht gerne Reden hielt. Der Comandante bezeichnete
jedoch jene, die er beim Empfang des Nobelpreises
erhielt, als eine Kostbarkeit: „Wir
Geschichtenerzähler, die alles glauben, fühlen uns
im Recht, zu glauben, dass es noch nicht zu spät ist,
um die Schaffung der entgegengesetzten Utopie in
Angriff zu nehmen."
„Eine neue und überwältigende Utopie des Lebens,
wo niemand für andere selbst die Art und Weise zu
sterben entscheiden kann, wo die Liebe wirklich wahr
ist und das Glück möglich, und wo die zu hundert
Jahren Einsamkeit verurteilten Geschlechter endlich
und für immer eine zweite Chance auf der Erde
haben." […]
Dies ist eine sehr einfache, persönliche und
aufrichtige Ehrung. Es ist nicht nur eine
persönliche Überprüfung. Denn er bekannte sich zum
ethischen Journalismus. Ich weiß, dass García
Márquez nie wieder einsam sein wird. Eines Tages
sagte er, dass er zu denen gehört, die mit den
Freunden beerdigt werden. Jetzt hat er seine Idee
übertroffen: Seine Asche wird immer in der Luft
seiner Freunde sein.