Ein Seeweg für
Nicaragua
und die Welt
Lianet Arias
Sosa
SCHON lange träumte
Nicaragua von dem Projekt eines Kanals zwischen den
Ozeanen. Seine definitive Streckenführung wurde erst
kürzlich bekannt, aber schon jetzt ist klar, dass es
sich um ein Werk handelt, von dem die ganze Welt
profitieren und das dieser Nation Mittelamerikas zu
wirtschaftlichem Aufschwung verhelfen wird.

Die Idee, einen Weg zu schaffen, der den
Atlantischen mit dem Pazifischen Ozean verbinden
sollte, wurde in diesem Teil der Welt schon seit
Jahrhunderten diskutiert. Auch die Vereinigten
Staaten ließen Ende des XIX Jahrhunderts eine Studie
erstellen, die über die Durchführbarkeit eines solch
großen Kanals und die damit verbundenen Kosten
Aufschluss geben sollte.
Auch wenn die Vereinigten Staaten mit einem
solchen Kanal Herrschaftsansprüche verbanden,
beweist das Dokument doch, wie lange schon ein
Interesse an diesem Projekt besteht, das auch von
Nicaraguas Nationalheld Augusto César Sandino aus
einer lateinamerikanischen Perspektive der Befreiung
heraus entwickelt wurde.
Im Jahr 1929 machte Sandino, der „General der
Freien Menschen", der den Kampf Nicaraguas gegen die
US-Intervention Ende des zweiten Jahrzehnts des
letzten Jahrhunderts anführte, seine Position im
Dokument „Der größte Traum Bolivars" (El supremo
sueño de Bolívar) deutlich.
Darin sprach er von der Sehnsucht Nicaraguas,
einen eigenen Kanal zu besitzen und verteidigte
diese Idee auch im Hinblick auf die Einheit und die
Integration zum Wohl aller Völker Lateinamerikas und
der Karibik, woran Präsident Ortega im Mai 2013
erinnerte.
Einen Monat nach dieser Rede des Präsidenten
unterschrieb die Regierung Nicaraguas ein
Rahmenabkommen mit dem chinesischen Unternehmen HKND
über den Bau eines solchen Wegs, wofür laut
Schätzungen 40 Milliarden Dollar veranschlagt werden
müssen.
Seit dem letzten Jahr beginnen viele Unternehmer,
Regierungen und Kommunikationsmedien, Interesse an
diesem Projekt zu zeigen, das schließlich auf den
Titelseiten landete, als die definitive Route des
Kanals bekannt gegeben wurde.
Wie Sprecher des Konzessionärs HKND und Vertreter
der Regierung erklärten, werde die Strecke etwa 278
km lang sein. Davon verliefen 105 km durch den
Cocibolca See, den größten See Mittelamerikas.
Weiter verlaufe die Strecke durch die Mündung des
Brito Flusses etwa 110 Kilometer südöstlich von
Managua, durchquere den See und gehe über den Tule
Fluss bis zur Mündung des Punta Gorda in der
Autonomen Region Südlicher Atlantik.
Der Kanal wird zwischen 230 und 250 Meter breit
und zwischen 26 und 30 Meter tief sein.
Die Vorstellung der Route wurde als wichtiger
Schritt auf dem Weg zur konkreten Durchführung des
Projekts gesehen, in Zeiten, in denen Experten ein
Anwachsen des Welthandels auf mehr als das Dreifache
für die nächsten Jahre prognostizieren.
Daraus ergebe sich ein höherer Bedarf an
Schiffskapazität, was im nächsten Jahrzehnt zu einem
Stau im Panama Kanal führe, sagte Alberto Vega vom
ERM Unternehmen, das mit den Studien zur
Durchführbarkeit des Projekts beauftragt wurde.
Er legte außerdem dar, dass die immer größer
werdenden Schiffe die Kapazität der bestehenden
Kanäle überschreiten würden und dass ein zweiter
interozeanischer Kanal in Mittelamerika dazu
beitragen werde, die Nachfrage preisgünstiger zu
befriedigen.
Der Vertreter des chinesischen Unternehmens HKND
bestätigte, dass ein Kanal wie dieser in Nicaragua 5
% des für den Welthandel erforderlichen Transports
bewältigen könne.
Sicher ist, dass der interozeanische Übergang
jährlich die Durchfahrt von 5.100 Schiffen
ermöglichen wird, darunter auch großräumige, die den
Panama Kanal nicht durchfahren können. Die für die
Durchfahrt benötigte Zeit wird etwa 30 Stunden
betragen.
Wenn das Megaprojekt einmal verwirklicht ist,
sehen die Fachleute, Abgeordneten, Unternehmer, die
Bewohner, die Regierung und HKND neben den Vorteilen
für den Welthandel einen wirklichen wirtschaftlichen
Aufschwung in diesem zweitärmsten Land Amerikas.
Das Werk umfasst nicht nur den Kanal als solchen,
sondern weitere Teilprojekte wie einen Flughafen,
diverse Straßen, eine Freihandelszone, touristische
Einrichtungen und zwei Häfen, einer am Pazifik und
einer am Atlantik.
Yunsong hob die ökonomischen Vorteile hervor, die
dieses große infrastrukturelle Werk für das Land mit
sich bringe. Es könne, so sagte er, das
Bruttoinlandprodukt verdoppeln und Nicaragua in
eines der reichsten Länder Mittelamerikas
verwandeln.
Viele sehen in diesem Kanal den Weg, der das Land
vollständig aus der Armut befreit, eine Priorität
der Regierung des Präsidenten Ortega, der das Land
seit 2007 regiert und dem es bereits gelungen ist,
dieses Übel in den letzten Jahren um 8 % zu
reduzieren.
EIN UMWELTFREUNDLICHES PROJEKT
Trotz der hohen ökonomischen Erwartungen haben
die Förderer des Projekts, wie sie versichern, den
Umweltschutz nicht vernachlässigt.
Nach einem Treffen mit dem HKND Präsidenten Wang
Jing versicherte Nicaraguas Präsident Ortega, dass
die ausgesuchte Route von den vielen zur Auswahl
stehenden Varianten diejenige mit den geringsten
Auswirkungen auf die Umwelt und die Bevölkerung sei.
Es sei nicht die kostengünstigste, aber die
umweltfreundlichste, betonte er.
In diesem Sinne äußerte sich auch Jing, der
hervorhob, dass HKND von Anfang an sein Augenmerk
auf den Schutz der Umwelt und die sozialen
Auswirkungen gelegt habe.
„Wir übernehmen die Verantwortung nicht nur für
das Glück dieser Generation des nicaraguanischen
Volkes, sondern auch für das der zukünftigen
Generationen", sagte der Unternehmer.
Während der Vorstellung des Projekts machte HKND
deutlich, dass der interozeanische Kanal die
Wasserhöhe des Cocibolca Sees nicht wesentlich
beeinträchtige.
Auch werde die Wasserversorgung der Bevölkerung
in dieser Gegend nicht in Mitleidenschaft gezogen.
Yunsong machte deutlich, dass das Wasser für den
Kanal hauptsächlich aus dem Flussbett des Punta
Gorda Flusses abgeleitet werde.
Dadurch würden Ressourcen erzeugt, um das
Naturschutzgebiet Bosawás, das größte Nicaraguas, zu
retten, erklärte Ortega. Augenblicklich befinde es
sich im Niedergang. Dafür seien verschiedene
Faktoren verantwortlich, unter anderem die immer
weiter fortschreitende Ackerlandgrenze.
Innerhalb dieser Konzeptionen schreitet das
Projekt voran, das die Beteiligung angesehener
ausländischer Firmen und, vor allem bei den
Nebenarbeiten, von kleinen, mittleren und großen
nicaraguanischen Unternehmen vorsieht. (PL)
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