Juan Diego Nusa
Peñalver
MICHELLE Bachelet wurde am 11. März zum dritten
ehemaligen Präsidenten seit 1920, der erneut in den
Präsidentenpalast La Moneda einzieht, und sie tut es
inmitten wichtiger innen- und außenpolitischer
Herausforderungen. Anhand ihrer Vorhaben einer
Bildungs- und Steuerreform und der Ausarbeitung
einer neuen Verfassung, die die aus der Pinochet-Diktatur
(1973-1990) geerbte ersetzen soll, sieht sie sich
den größten Erwartungen gegenüber, die in der
chilenischen Gesellschaft in den letzten zwanzig
Jahren erwuchsen.
Vor Bachelet haben es nur zwei große politische
Amtsinhaber des 20. Jahrhunderts geschafft, nach
einer ersten Präsidentschaft in die Moneda
zurückzukehren: Arturo Alessandri
(1920-1925/1932-1938) und Carlos Ibáñez del Campo
(1927-1931/1952-1958). Ihr gebührt außerdem das
Verdienst, die erste Frau zu sein, die für das
Präsidentenamt wiedergewählt wird, nach einer ersten
Amtszeit von 2006 bis 2010.
Die 62jährige Kinderärztin übernahm abermals die
Präsidentschaft von Chile mit der Absicht, ein
gerechteres Chile zu schaffen und die Ungleichheit
zu beseitigen, die sie als den einzigen Gegner des
Landes bezeichnet.
Es kann nicht unbeachtet bleiben, dass die
Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (OECD), eine Art Eliteklub reicher
kapitalistischer Länder, dem 34 Länder angehören,
Chile als das Land bezeichnet, das unter ihnen die
größten Ungleichheiten aufweist. Eine Studie der
Organisation, die die Gini-Kennziffer misst und zu
deren Erarbeitung zwei Jahre benötigt wurden,
besagt, dass die Einkommen des reichsten Zehntels
der Bevölkerung des Landes 27 mal höher sind als die
des ärmsten Zehntels.
Außerdem leidet nach offiziellen Quellen noch
immer 14,4 % der Bevölkerung an Armut und 2,8 % an
extremer Armut.
Deshalb ist die Herausforderung für die Regierung
der Neuen Mehrheit schwierig und risikobehaftet,
unter anderem weil sie ihre Arbeit mit einer
Wirtschaft beginnt, deren Rhythmus sich eindeutig
verlangsamt hat und die ein ererbtes Niedrigwachstum
aufweist.
Dieser Kontext kündigt an, dass die neu gewählte
Regierungschefin nicht viel Zeit zur Verfügung haben
wird, um die Versprechen einzulösen, die sie jenen
Teilen der Gesellschaft gegeben hat, die gegen die
rechtsgerichtete Regierung von Sebastián Piñera
gekämpft und sie zurück in die Moneda geholt haben.
Das betrifft insbesondere die Studenten, die sich
lautstark auf den Straßen von Santiago de Chile,
Valparaíso und anderen chilenischen Städten geäußert
haben, als sie kostenlose, hochwertige Bildung und
das Ende des Gewinnstrebens in dieser Sphäre
forderten.
Sie wird sich auch den Beschwerden der
Umweltschützer, der Ureinwohner (speziell der
indigenen Mapuches) und der Arbeiterbewegung widmen
müssen, die Verbesserungen ihrer Lebensbedingungen
fordern und den Ausbau der neoliberalen Maßnahmen
ablehnen, die unter der vorhergehenden konservativen
Regierung intensiviert worden waren.
Im Bildungswesen nimmt sich die sozialistische
Politikerin vor, in sechs Jahren die Kostenlosigkeit
einzuführen und mit den Gewinnen in Privatschulen
Schluss zu machen, welche derzeitig Subventionen vom
Staat erhalten, die zu einer riesigen Einnahmequelle
für ihre Eigentümer geworden sind.
Um die Bildungsreform zu finanzieren, entwarf
Bachelet eine ambitionierte Steuerreform mit dem
Ziel, etwa 8,2 Milliarden Dollar einzuziehen, die 3
% des BIP entsprechen.
Das chilenische Bildungswesen ist zutiefst
ungleichartig, und Zugang zu einer hochwertigen
Bildung der Primar- und Sekundarstufe haben nur die
Kinder von Besserverdienenden.
Die Präsidentin selbst hat zugegeben, dass ihr
Vorhaben ehrgeizig ist, aber ihr helfen ihre große
Popularität und die guten Ergebnisse, die das
Mitte-Links-Bündnis bei den letzten Parlamentswahlen
erreichte, wodurch es in beiden Kammern des
Kongresses die Mehrheit errang. Dies wird es ihr zum
Beispiel ermöglichen, eine Steuerreform zu
verabschieden, um die Unternehmenssteuern von 20 auf
25 % anzuheben.
Sie verfügt jedoch über keine qualifizierte
Mehrheit, um das Bildungsgesetz tiefgreifend
umzugestalten und die Studienpläne des
Hochschulwesens zu verändern, die Gewinne zu
mäßigen, die die Privatuniversitäten erwirtschaften
und obendrein dem Ministerium für Bildungswesen die
Verwaltung der Sekundarschulen zu übertragen statt
den Gemeindeverwaltungen, die über keine Mittel
verfügen.
So wird sie über diese Veränderungen verhandeln
und Bündnisse mit der konservativen Opposition und
den Unabhängigen eingehen müssen, um die
Bildungsreform zu verabschieden, so wie auch ein
neues Grundgesetz, das die 1980 von der Diktatur
aufgezwungene Verfassung ablöst, in der wichtige
antidemokratische „Riegel" enthalten sind, wie zum
Beispiel das binominale Wahlsystem, das es den
Minderheiten oder kleinen politischen Gruppierungen
nicht ermöglicht, in den Kongress einzuziehen.
Analysten sind der Meinung, dass sie mühelos die
Stimmen zur Durchsetzung der Änderungen im
Bildungswesen erlangen könnte, sehen aber das
Erlangen von Zustimmung beim Thema der
Verfassungsänderung problematischer, da dafür sehr
hohe Quoren notwendig sind, wobei mit der
Verschanzung der oligarchischen Rechten, den
Nachfolgern Pinochets, zu rechnen ist.
Eine weitere Herausforderung ist, die
Ungleichheit der Löhne zu verringern und die
Energieproduktion zu steigern, deren Misslichkeit
die Investitionen im Bergbau verzögert, in einem
Land, das der größte Kupferproduzent der Welt ist.
In ihrer vorhergehenden Regierungszeit führte
Bachelet eine große Reform im System der
Sozialversicherung durch und sie musste die
internationale Wirtschaftskrise von 2008-2009 mit
Mitteln überstehen, die der Staat für „schwierige
Jahre" zurückgelegt hatte, wodurch es ihr gelang,
Arbeitsplätze zu schaffen und ein mittleres
Wirtschaftswachstum von 3,2 % zu erreichen.
Ebenso wird es eine vorrangige Priorität für
Bachelet sein, die breite politische Koalition zu
festigen, die ihr Unterstützung gewährt und der
Christdemokraten, Sozialisten und Kommunisten
angehören.
Zum ersten Mal in den letzten 40 Jahren ist die
Kommunistische Partei an der Regierung beteiligt,
nachdem eines ihrer Mitglieder im Kabinett zur
Frauenministerin ernannt wurde. Hinzu kommt die
Neuigkeit, dass Isabel Allende, die Tochter des
verstorbenen Regierungschefs Salvador Allende, zur
ersten Frau wurde, die dem Senat vorsteht, was die
neuen Zeiten offenbart, die in jenem Land herrschen.
Für ihre ersten 100 Regierungstage nahm sich
Bachelet vor, 50 Maßnahmen zu verwirklichen, die den
Weg für ihre Reformen öffnen und den Bürgern ihre
Absichten eindeutig anzeigen sollen.
Es wurde bekannt, dass sich die Kosten dieser
Maßnahmen, die auf die Verbesserung der
Lebensqualität im Land gerichtet sind, auf etwa 720
Millionen Dollar belaufen. Sie umfassen insgesamt 15
Themenbereiche, die von der Bildung bis zum
Wirtschaftswachstum reichen und unter anderem auch
Gesundheitswesen, Arbeit, Renten, Sicherheit der
Staatsbürger, Umwelt und Kultur einschließen.
Für die unmittelbare Zukunft kündigte Bachelet
die Vorlage eines Projektes im Kongress zu dessen
sofortiger Diskussion an, um noch in diesem Monat
den sogenannten März-Bonus über 40.000 Peso unter
der Bezeichnung „Ständige Familiäre Hilfe" zu
übergeben, der zwei Millionen Familien zugute kommen
wird.
In der Außenpolitik gedenkt die sozialistische
Politikerin die gewisse Abgeschiedenheit Chiles von
seinen Nachbarn Lateinamerikas und der Karibik zu
überwinden, die Bande mit Unasur und der Celac zu
festigen und normale Beziehungen zu Venezuela zu
unterhalten.
Ebenso wird sie sich während ihrer Regierungszeit
um die Umsetzung des Urteils des Haager Gerichtshofs
kümmern müssen, welches Peru die alleinige
wirtschaftliche Herrschaft über das Meeresgebiet ab
80 Seemeilen von der chilenischen Küste, und nicht
200, wie früher, zugesprochen hat. Das Gleiche
trifft auch auf die Forderung zu, die Bolivien vor
der gleichen Instanz vorgebracht hat, bezüglich
eines souveränen Zugangs durch chilenisches Gebiet
zum Meer.
Es ist kein Geheimnis, dass sich die Beziehungen
zwischen Chile und der Subregion abgekühlt haben,
nachdem Präsident Piñera eine Handelsstrategie (mit
eindeutig neoliberalem Charakter) mit dem
Pazifikbündnis förderte, das 2011 von Chile,
Kolumbien, Peru und Mexiko gegründet wurde.
Zweifellos wird sich die neue Präsidentin mit
Intelligenz und viel Arbeit großen Herausforderungen
stellen müssen in ihrem Versprechen, ein anderes und
viel gerechteres Chile zu schaffen.