Wände, die Leben veränderten
• „Muraleando",
ein Gemeindeprojekt in Lawton, hat die Umgebung
seiner Bewohner verwandelt
Amelia
Duarte de la Rosa
DIE ins Auge springende
Malerei an den Häusern und Mauern sagt dem Besucher,
dass er in einem besonderen Wohnviertel angekommen
ist. Ein Viertel, das durch praktische Arbeit
bewiesen hat, wie das soziale Potenzial, das in der
künstlerischen Aktion liegt, die gemeinsamen
Lebensräume von Menschen in Orte der Entspannung und
des Wohlbefindens verwandeln kann.

Aber wenn man dann durch die
Straßen geht, stellt man fest, dass es um mehr geht
als um eine einzigartige Initiative, öffentliche
Plätze mit Wandmalereien zu schmücken, Skulpturen
aufzustellen und Gärten und Parks zu verschönern. Es
geht vor allem darum, die Bewohner des Viertels mit
der Kunst vertraut zu machen und zu diesem Zweck hat
eine Gruppe von Personen vor dreizehn Jahren damit
begonnen, einem Projekt, das sie „Muraleando" nennen,
Leben einzuhauchen.
Dieses Projekt hat sich in
eine Galerie unter freiem Himmel verwandelt und die
Bewohner mit Kunst zum Anfassen erobert, die ihre
Lebensqualität verbessert hat. Dazu zählen unter
anderem die Beseitigung von wilden Müllkippen und
die Verschönerung der öffentlichen Anlagen. Auch die
Möglichkeiten, die Kindern, Jugendlichen und
Erwachsenen geboten werden, an Workshops für Malerei,
Handarbeiten, Musik und Tanz teilzunehmen, gehören
dazu.
Der Erfolg des Projekts wäre
ohne die Ausdauer und den Erfindungsreichtum seiner
Initiatoren nicht möglich gewesen.
Vor ungefähr vier Jahren
haben sie damit begonnen, einen riesigen runden
Wassertank aus Beton von etwa 12 m Durchmesser, der
nicht mehr gebraucht wurde, so zu bearbeiten, dass
daraus ein Haus der Kultur entstanden ist. „El
Tanque" ist als Mittelpunkt des Projekts ein Begriff
geworden.
Beim Gang durch dieses neue,
noch im Bau befindliche Zentrum sprach der Maler und
Hauptkoordinator Manuel Diaz Baldrich mit Granma
über das Erfolgsrezept des Projekts:
„Seit der Schaffung des
Kulturhauses, das heißt, seit wir 2010 angefangen
haben, daran zu arbeiten, hat die Arbeit enorm
zugenommen und es ist uns gelungen, das Projekt
auszudehnen. Vorher hatten wir keinen festen Platz
zur Verfügung und alles war ziemlich provisorisch,
aber jetzt mit diesem ständigen Sitz ist es anders
geworden", begann er zu erklären.
„Hier im ´Tank´ machen wir –
vorwiegend an Samstagen – Kulturnachmittage oder
auch Veranstaltungen zu bestimmten Feiertagen. Wir
haben eine Künstlerbrigade mit den Talenten des
Viertels und tauschen uns mit anderen Projekten aus.
Im April waren wir in Ciénaga de Zapata. Wir hatten
dort einige Auftritte, machten Wandmalereien und
Skulpturen und es war eine sehr schöne Erfahrung."
„Jetzt im Sommer", sagte er,
„machen wir es anders als die meisten und legen eine
Pause ein, weil wir lieber möchten, dass die Kinder
sich ausruhen. Aber wir halten schon noch punktuelle
Aktivitäten aufrecht wie z.B. den Sommerworkshop zur
Anfertigung von Schmuck-Kalendern. Auch finden
Austauschtreffen mit anderen Stadtteilen statt, die
von der Provinzdirektion für Kultur geplant werden.
Aber in diesen Monaten kostet es Mühe, die Jungen
und Mädchen zusammen zu bekommen, außerdem verdienen
sie nach einem Jahr Arbeit genau wie wir Ferien.
Trotzdem sind wir weiterhin mit dem Ausbau des Tanks
und der Planung von künftigen Aktivitäten und
Workshops beschäftigt", hielt er zur Arbeit von
„Muraleando" fest, die bereits einige Würdigungen
erfahren hat, darunter die Nominierung für den
Nationalpreis der Gemeindekultur 2010.
„Die Workshops beginnen im
September und enden im Juli. Der für Bildhauerei ist
zu unserem Markenzeichen geworden und hat zwei
verschiedene Stufen, eine für Anfänger und eine für
Fortgeschrittene bzw. besonders Begabte. Seit zwei
Jahren gibt es einen anderen Workshop, der sich
„Cámara Chica" (Kleine Kamera) nennt und sich mit
der audiovisuellen Welt befasst. Dann haben wir noch
die Workshops für Kunsthandwerk und Herstellung von
Armbändern. Diese waren ursprünglich für ältere
Leute gedacht, aber inzwischen macht jeder mit, vor
allem viele Mütter, die ihre Kinder zu uns
begleiten. Die Musik-, Theater- und
Volkstanzpädagogen stammen aus der Provinz Pinar del
Rio, haben aber familiäre Bindungen zur Gemeinde.
Wir sprechen die Leute hier
in unserer Gemeinde an, aber auch anderswo hören die
Menschen von uns und wenn sie dann kommen, stehen
ihnen unsere Türen offen. Unser Prinzip lautet, dass
jeder, der mit uns zusammenarbeiten will, teilnehmen
kann.
Ich habe schon oft Leute
gefragt, warum sie von so weit herkommen und sie
sagten mir, dass in ihren Stadtteilen nicht mit der
gleichen Liebe gearbeitet werde wie hier. Hier ist
alles gratis, wir verlangen von niemandem Geld und
von uns bezieht auch niemand einen Lohn."
ZUGEHÖRIGKEITSGEFÜHL
Das Projekt am Leben zu
erhalten sei schwierig, versichert Baldrich. „Als
wir anfingen, haben wir nicht im Entferntesten davon
geträumt, dass wir das alles erreichen könnten. Wir
haben einige Etappen durchlaufen und die ersten
waren sehr schwer, hauptsächlich deshalb, weil uns
kein Raum wie dieser zur Verfügung stand.
„Muraleando" ist ein Gemeinschaftsprojekt, an dem
viele teilnehmen und alle spielen eine Hauptrolle.
Ich glaube, genau darin liegt die Wurzel des
Erfolges – darin, dass alle zusammen sich aktiv
beteiligen. Wir haben einen Vorstand von etwa 15
Personen, teils Künstler, teils Bewohner der
Gemeinde.
Wir planen, was wir an kurz-
und mittelfristigen Zielen erreichen wollen und
jeder im Projekt übernimmt Verantwortung.
Das übergeordnete Ziel aber
ist die Verbesserung der Lebensqualität in der
Gemeinde. Ich glaube, dass wir mit der Umwandlung
des Viertels noch nicht am Ende unserer
Möglichkeiten angelangt sind, aber 1 Prozent haben
wir immerhin schon geschafft.
Früher waren die wilden
Müllkippen an der Tagesordnung und wir haben sie
unter Beteiligung aller beseitigt und Kunstwerke an
ihre Stelle gesetzt. Es gibt immer noch welche, die
die Umgebung verschandeln, aber es sind nur noch
wenige. Wir haben dieses Zugehörigkeitsgefühl
geweckt, aber das ist ein langer Prozess. Das
Bewusstsein der Menschen zu ändern, ist kompliziert.
Viele sagen mir, dass, wenn
man von Porvenir aus hierher komme, es so sei, als
ob man in einer andere Welt eintrete. Die Leute
atmen eine andere Luft, sie atmen Kultur und
Sauberkeit.
Neulich habe ich eine Frau
auf einer Bank sitzen sehen und sie gefragt, ob es
ihr gut gehe. Sie antwortete mir: „Ja, ich genieße
gerade mein Vedado." (Vedado ist, anders als Lawton,
eine der schönsten und beliebtesten Wohngegenden
Havannas, Anm. d. Übersetzers) Das hat mich sehr
bewegt, denn es zeigt, dass die Leute dankbar sind
und sich wohl fühlen und das hilft uns dabei, unsere
Arbeit weiter zu tun.
Wir haben viel gearbeitet,
aber immer davon geträumt, die Idee zu
verwirklichen, das Viertel in eine Galerie der
volkstümlichen Kunst zu verwandeln, wo das Volk mit
der Kunst zusammenlebt", sagte er zum Schluss.
Die Akzeptanz von „Muraleando"
ist nicht zu leugnen. Tausende von kubanischen und
ausländischen Besuchern wie auch Persönlichkeiten
der Kultur sind die Straßen dieser Gemeinde entlang
gelaufen.
Dieses soziokulturelle
Projekt ist der lebendige Beweis dafür, dass man mit
festem Willen und Altruismus seine Umgebung
verändern kann, so dass sie Spuren im Herzen der
Menschen hinterlässt.
Über die
Grenzen Kubas hinweg
DER Erfolg von Muraleando hat sich auch in
anderen Ländern herumgesprochen. Nicht nur
Teilnehmer der vom Institut für Völkerfreundschaft (ICAP)
veranstalteten Brigaden besuchen den Stadtteil, um
ihn mit einem eigenen künstlerischen Werk zu
erfreuen. Auch Reisegruppen aus verschiedenen
Ländern sind gern gesehene Besucher. Bei einem
Rundgang informieren sie sich über die Entstehung
des Projekts, im Gemeindezentrum können sie einen
Live-Auftritt der projekteigenen Band verfolgen und
sich die im „Tank" ausgestellten Kunstwerke ansehen,
die größtenteils auch käuflich zu erwerben sind.
Die Künstler von Muraleando
entwarfen auch eine Riesenleinwand mit kubanischen
Motiven. Das Gemälde, dessen Fertigstellung einige
Wochen in Anspruch nahm, führte einen Autokorso an,
der im Juni 2009 anlässlich des 50. Jahrestags der
kubanischen Revolution im Ruhrgebiet veranstaltet
wurde.
Jedes Jahr im April findet
ein internationaler Workshop statt. 14 Tage lang
kommen Künstler aus Deutschland, Kanada, den USA und
anderen Ländern, um mit den kubanischen Künstlern
gemeinsam neue Werke zu schaffen. Dabei werden neue
Techniken erprobt. Da die Malereien auf den Wänden
den widrigen Wetterbedingungen ausgesetzt sind,
müssen sie häufig erneuert werden. Inzwischen ist
man dazu übergegangen, die Wände mit Kunstwerken aus
Keramik und Metall zu versehen, Materialien, die
viel haltbarer sind. Die Teilnehmer an diesen
internationalen Workshops bringen das Material für
die geplanten Kunstprojekte und für die Workshops,
die sie gemeinsam mit den Kindern abhalten, selber
mit.
Auch mit Mexiko, mit der
dortigen José Martí Gesellschaft in Puebla, bestehen
Kontakte, die man gerade dabei ist zu vertiefen. (Redaktion
GI deutsch)
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