Finanzkrieg gegen Kuba
Die Tageszeitung junge Welt veröffentlicht heute
ein Interview ihres Autoren André Scheer mit Oscar
Martínez, stellvertretender Leiter der Abteilung für
internationale Beziehungen beim Zentralkomitee der
Kommunistischen Partei Kubas, über die Verschärfung
der Blockade durch die USA. Wir geben es hiermit in
vollem Wortlaut wieder:
Im kommenden Jahr findet in
Panama der nächste Amerika-Gipfel statt. Zum ersten
Mal ist Kuba zu diesem Treffen eingeladen worden …
Ja, die panamaische
Regierung hat Kuba eingeladen, und die kubanische
Seite hat auch bereits bestätigt, daß wir gerne zur
Teilnahme bereit sind.
An dem Gipfeltreffen wird
vermutlich auch US-Präsident Barack Obama teilnehmen.
Kann es eine Gelegenheit sein, die Beziehungen
zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten zu
normalisieren?
Es wird zumindest eine
Gelegenheit sein, mal wieder von Angesicht zu
Angesicht miteinander zu sprechen, und vielleicht
bedeutet es auch eine gewisse Annäherung. Aber für
eine Normalisierung der Beziehungen stehen noch
viele Dinge aus, die getan werden müssen. Es gibt im
Westen den Eindruck, daß es eine Lockerung der
Blockade gegeben habe. Aber ganz im Gegenteil: In
den vergangenen Jahren ist die Blockade verschärft
worden. Gerade im finanziellen Bereich hat das
zuletzt zu kritischen Situationen geführt, denn
tatsächlich gibt es eine Verfolgung jeder
Finanztransaktion Kubas mit ausländischen Banken und
Unternehmen. Das ist ein Finanzkrieg gegen Kuba, der
es natürlich noch schwerer macht, eine Lösung für
unsere Differenzen zu finden.
Allein zwischen 2010 und Mitte 2013 wurden deswegen
36 Unternehmen Ziel von Maßnahmen der USA. Der
letzte Fall war die französische BNP Paribas, gegen
die mit fast neun Milliarden Dollar die bislang
höchste Strafe dieser Art verhängt wurde.
Wie reagiert die Europäische
Union auf solche Sanktionen, die ja auch
europäischen Bestimmungen widersprechen?
Die Reaktion der EU auf
dieses Thema ist schwach. Wir hätten gedacht, daß
ihre Gremien angesichts einer so unverhältnismäßigen
Maßnahme gegen eine europäische Bank kraftvoll
reagieren würden. Aber die Haltung der europäischen
Regierungen ist offenbar, über die Höhe der Strafen
zu sprechen, aber nicht über die Strafen selbst.
Zugleich verhandeln Kuba und
die EU über eine Normalisierung ihrer Beziehungen.
Wie ist hier der Stand?
Es hat bislang zwei
Arbeitsrunden gegeben, eine in Brüssel und eine in
Havanna. Ziel dieser Gespräche ist es, die
diskriminierende Einmischung zu überwinden, die seit
den 90er Jahren existiert und nicht mehr in die
heutige Welt paßt. Der Prozeß geht voran, allerdings
langsam, denn in der Europäischen Union existiert
eine Reihe von Akteuren, die objektiv nicht dazu
beitragen, daß sich die Verhandlungen erfolgreich
entwickeln können. Einige Länder – die ich jetzt
nicht nennen möchte – versuchen, den Dialog zu
stören. Zum Glück ist die überwältigende Mehrheit
der Länder und Regierungen der Europäischen Union
für den Dialog.
Vor wenigen Tagen kündigte
Kuba die Entsendung von 165 Ärzten und Pflegekräften
nach Sierra Leone zur Bekämpfung der Ebola-Epidemie
an. Kurz darauf erklärten die USA, Soldaten nach
Westafrika zu entsenden, und auch die deutsche
Bundeswehr will Militärs schicken. Warum senden die
einen Ärzte und die anderen Soldaten?
Hier stehen sich zwei
Systeme gegenüber: Eines stützt sich auf die
menschliche Solidarität und Gerechtigkeit. Dieses –
den Sozialismus – versuchen wir aufzubauen. Auf der
anderen Seite steht ein System, das sich auf
wirtschaftlicher Ebene nur für Gewinne interessiert
und das auf politischer Ebene die Unterdrückung der
Völker anstrebt.
Die Politik Kubas ist es, in solch lebenswichtigen
Fragen wie der Bekämpfung von Krankheiten alles
einzusetzen, was möglich ist, um der Menschheit zu
helfen. Kuba hat hier immer eine konsequente Linie
verfolgt. Nehmen wir zum Beispiel Haiti. Dort hatte
Kuba bereits mehrere Medizinerbrigaden im Einsatz,
aber als sich dort 2010 das Erdbeben ereignete, hat
Kuba den Einsatz verstärkt und im Rahmen der ALBA
ein Hilfsprogramm aufgelegt, durch das Kuba und
Venezuela ihre Hilfe koordinierten und aufeinander
abstimmten, um Menschenleben zu retten. Das ist eine
Politik der kubanischen Revolution, die den
humanistischen Kern dieser Revolution bekräftigt.
Sie haben die Bolivarische
Allianz für die Völker Unseres Amerikas (ALBA)
angesprochen, die 1994 von Fidel Castro und Hugo
Chávez gegründet wurde und im Dezember ihr
zehnjähriges Bestehen begeht. Wie hat sich diese
Allianz seither entwickelt?
Ich denke, daß jede Allianz
dieser Art ebenso wie die Integration Lateinamerikas
ihre Zeit und Reife braucht. ALBA war das erste
Integrationsprojekt in Lateinamerika, das unter
anderem anstrebte, daß sich unsere Ökonomien
gegenseitig ergänzen. Vor allem aber besteht
zwischen den Mitgliedsländern ein politischer
Konsens. Zudem ist die solidarische Hilfe
hervorzuheben, die die Länder untereinander leisten,
aber auch anderen Ländern gewähren.
Für uns ist es lebenswichtig, daß die ALBA weiter
wächst und daß Venezuela seinen politischen Weg
trotz der Gegenoffensive des nordamerikanischen
Imperialismus und der venezolanischen Oligarchie
fortsetzen kann. In dem theoretischen Fall, daß der
revolutionäre Prozeß Venezuelas abgebrochen werden
würde, würden ALBA und Integration verschwinden. Das
wäre ein sehr schwerer Schlag für Lateinamerika,
aber auch für die gesamte Welt.
In den vergangenen Jahren,
vor allem seit dem Tod des venezolanischen
Präsidenten Hugo Chávez, schien es, daß der Prozeß
an Fahrt verloren hat und in eine Krise geraten ist.
Stimmt dieser Eindruck?
Vergessen wir nicht, daß
dieser revolutionäre Prozeß zu Beginn keine
Veränderung des Systems angestrebt hatte. Venezuela
hat immer die Bedingungen genutzt, die sich dem Land
innerhalb des kapitalistischen Systems geboten
haben, und Reformen in den Bereichen angestrebt, in
denen die Bevölkerung besonders litt. Venezuela,
aber auch andere Länder, stehen erst am Anfang der
Überlegung, wie dieser Prozeß in den Aufbau des
Sozialismus überführt werden kann. Einige nennen das
Sozialismus des 21. Jahrhunderts, wir sprechen
dagegen vom Sozialismus im 20. und 21. Jahrhundert.
Ich denke, daß die wachsende Stärke der Opposition
und die Zunahme der Widersprüche innerhalb der
venezolanischen Gesellschaft in erster Linie eine
Folge der Verstärkung der Gegenoffensive des
Imperialismus sind. Es gibt eine nordamerikanische
Strategie, die sich nicht nur gegen Lateinamerika
richtet, sondern global ist, und die wir »Methoden
nicht konventioneller Kriegführung« nennen. Es geht
darum, Methoden der ideologischen Subversion zu
kreieren, zweitens politischen Einfluß zu gewinnen,
drittens eine Destabilisierung und viertens eine
Radikalisierung in den Gesellschaften zu provozieren,
um auf diesem Weg einen »Regime Change« zu erreichen.
Dabei erscheinen die USA, als stünden sie außerhalb.
Es scheint, als ob es sich um einen inneren Prozeß
ohne äußere Einflüsse handeln würde, in dem die
venezolanischen Massen gegen die Regierung aufstehen.
Tatsächlich ist aber genau das Gegenteil der Fall.
Die USA sind in dieser Auseinandersetzung unsichtbar,
in Wahrheit handelt es sich aber um ein von ihnen
ausgearbeitetes Programm gegen die Revolution.
Aktuell versuchen die USA, ausgehend von Kubas
wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die politisch-ideologische
Subversion zu verstärken. Über Abgesandte aus den
USA und aus Lateinamerika versuchen sie, junge
Führungspersönlichkeiten aufzubauen, die sich gegen
die Verhältnisse in Kuba auflehnen und so gegen den
Willen des kubanischen Volkes eine Veränderung der
Machtverhältnisse erreichen sollen. Es handelt sich
um eine Strategie gegen uns, gegen Venezuela, aber
auch gegen andere Länder Lateinamerikas.
Haben Sie den Eindruck, daß
die Regierungen Lateinamerikas bereits die richtige
Antwort auf diese Strategie gefunden haben?
Ich habe den Eindruck, daß
sich die Regierungen, vor allem aber die mit ihnen
verbündeten fortschrittlichen Kräfte Lateinamerikas,
sehr bewußt sind, daß die Suche nach einer Strategie
notwendig ist, um dieser Politik der USA und der
Rechten zu begegnen. Sie wissen, daß es vor allem
darauf ankommen muß, mit einem gemeinsamen
politischen Programm für eine Einheit der linken
Kräfte zu kämpfen. Zweitens müssen sie die
Bedingungen für die Entwicklung der Wirtschaft und
der sozialen Programme weiter verbessern. Und
drittens müssen sie sich für eine wirkliche
Integration Lateinamerikas einsetzen. So kann eine
Widerstandsfront gegen die Aktionen des Westens
entstehen.
Entnommen aus:
http://www.jungewelt.de/2014/09-25/045.php
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